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Interessantes für Unternehmen
21.05.2015

Personalrekrutierung: Daumen hoch für die Zugeknöpften

Naturwissenschaftler können kauzig sein. Die heutige Selfie-Kultur verlangt indes nach positiven Selbstdarstellern. Das behindert den Blick auf das Beste der Kandidaten: ihre wahren Fähigkeiten.

03.04.2019

Personalrekrutierung: Daumen hoch für die Zugeknöpften

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Naturwissenschaftler können kauzig sein. Die heutige Selfie-Kultur verlangt indes nach positiven Selbstdarstellern. Das behindert den Blick auf das Beste der Kandidaten: ihre wahren Fähigkeiten.

Sichtbarkeit ist Trumpf. Es regiert die Extravertiertheit. Je mehr Kandidaten nach aussen gerichtet auftreten, desto positiver werden sie aufs Erste beurteilt. Offensive Kommunikation ist die halbe Miete im Vorstellungsgespräch.
Mich befremdet dieser Trend in der Personaldiagnostik. Denn die Frage um Introvertiertheit versus Extravertiertheit geht einher mit einer unsinnigen Bewertung: Daumen hoch für die Extravertierten, Daumen runter für die Introvertierten - insbesondere wenn es um Führungskräfte geht.

Nicht selten gilt das Vorurteil, Naturwissenschaftler und Ingenieure wären zugeknöpfte Fachspezialisten - schliesslich kann man so was ja nur studieren, wenn man introvertiert ist... Zudem geben sich Naturwissenschaftler gerne kritisch, sie differenzieren sorgfältig und lassen sich nicht so schnell zur Begeisterung hinreissen. Das wird ihnen oft als Distanziertheit, mangelnde Emotionalität oder Desinteresse ausgelegt.
Häufig wird der Terminus «Naturwissenschaftler» auch mit «Forscher» gleichgesetzt. Dieser tüftelt nach landläufiger Meinung einsam in seinem Kämmerchen herum - das alleine ist schon ein Stigma.

Freilich: Wer sich gerne mit Mathe, Physik oder Maschinenbau beschäftigt, zieht es vor, in Ruhe zu analysieren. Er oder sie verfügt meist über ein hohes Abstraktionsvermögen und erarbeitet sich Daten und Fakten, bevor etwas angepackt wird. Auch wer Chemie, Verfahrenstechnik oder Biologie studiert, hat Freude am Experiment, an Gedankenspielen und an der Laborarbeit. Pharmazeuten und Mediziner eignen sich viel theoretisches und technisches Wissen an, bevor sie Diagnosen stellen oder Medikamente für Patienten entwickeln. Wer eher nach innen gerichtet ist, mag sich wahrscheinlich von der Forschung und Entwicklung mehr angesprochen fühlen, wogegen die Extravertierten lieber im Verkauf oder im Produktmanagement tätig sind.

„Das Klischee des einsamen Forschers ist hinfällig - gerade Forscher arbeiten heutzutage intensiv in Teams zusammen. In Wirklichkeit repräsentieren die Wissenschaftler auch das ganze Spektrum der menschlichen Verhaltensweisen."

Doch Vorsicht vor falschen Schlüssen! Das Klischee des einsamen Forschers ist hinfällig - gerade Forscher arbeiten heutzutage intensiv in Teams zusammen. In Wirklichkeit repräsentieren die Wissenschaftler auch das ganze Spektrum der menschlichen Verhaltensweisen. Ausserdem ist nur ein kleiner Teil überhaupt in der Forschung beschäftigt. Die meisten Wissenschaftler wählen aus einem äusserst breiten Spektrum von beruflichen Möglichkeiten. Sie bestimmen die Schwerpunkte nach persönlicher Neigung und Verhaltensdisposition.
Darum sollten wir uns bei der Rekrutierung von Fachkräften aus den Life Sciences fragen: Wollen wir in der Entwicklung wirklich den Teamleiter, der sich am besten verkauft? Wollen wir als Produktionsleiterin die, die ihre Zahlen dem Management am gewinnendsten präsentiert? Ist Extravertiertheit für das betreffende Berufsbild oder für die Branche überhaupt entscheidend? Beziehen wir also den zweiten und dritten Eindruck auch in die Beurteilung mit ein.

Dabei stelle ich immer wieder gerne fest: Wie wohltuend ist die sachlich-analytische Sicht der Dinge, wenn die Ereignisse sich überschlagen und die Emotionen kochen. Wie angenehm, wenn jemand keine Partei ergreift, sondern differenziert ohne auszuschliessen. Wie souverän eine gewisse Distanz und die vorausschauende strategische Sicht! Wie führungsstark, wenn jemand seinem Mitarbeiter gut zuhört und mitdenkt, wenn dieser mit Ideen und Vorschlägen kommt! Allein deswegen wünsche ich mir mehr von dieser Art Introvertierten.

Dr. Irmtraud Lang, Chemikerin und Inhaberin gloor&lang

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